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„Zeit zum Aufstehen“ – oder eben auch nicht!

Als ich mein Outing auf diesem Blog veröffentlichte, endete ich mit einem Zitat von Hitzlsperger: “Homophobe sollen wissen, sie haben jetzt einen Gegner mehr!” Dafür hab ich nicht nur Lob bekommen, denn es ist zurecht polarisierend. Es baut keine Brücken, es legt fest, es ist eine Kampfansage. Und diejenigen die dieses Zitat in Frage stellten, haben damit ja auch Recht. In meiner theologischen Stellungnahme hab ich das ganze auch kommentiert und mit einem Zitat von Papst Franziskus korrigiert: “Was die Kirche heute braucht, ist die Fähigkeit, die Wunden zu heilen und die Herzen der Menschen zu wärmen.” Und dann weiter: “Wir sollen so sein wie ein Feldlazarett nach einer Schlacht” (nämlich ein Ort wo Wunden geheilt werden).

Warum grabe ich dieses Zitat-Geschichte noch einmal aus? Weil in nicht ganz einem Monat in Stuttgart der „Christustag“ veranstaltet wird. Die konservativere Ecke der Landeskirche lädt zu einem großen Gruppenhappening ins Stuttgarter Stadion ein. Ansich nichts verwerfliches. Alles gut. Wenn da nicht ein Bekenntnis wäre, dass um diesen Tag herum gebaut zu sein scheint (zumindest wird es vom Christustag massiv beworben). „Zeit zum Aufstehen“ heißt die Bekenntnisschrift – und sie ist leider wie das Hitzelsperger-Zitat polarisierend. Sie ist keine Brücke, sie ist eine Kampfansage. Wenn auch nur im Verborgenen. Einige Anfragen an den Text, der hier gelesen werden kann:

  • Warum der Titel? Gegen wen oder was soll aufgestanden werden? Wenn man sich Artikel 4 durchliest könnte man das Gefühl haben, diese Bekenntnisschrift entstand im Zuge der Homosexualitätsdebatte in Baden-Württemberg.
  • „Zeit zum Aufstehen“ – ich werde dieses Jahr 30 und trotz meines jungen Alters löst ein Bekenntnis in einem Stadion (wo ja der Christustag stattfindet) bei mir ein ungutes Gefühl aus. Sind wir Deutschen nicht schon zu oft in einem Stadion für komische Bekenntnisse aufgestanden? Es wird ja wohl so sein, dass sich die Initiatoren nur ungern in eine Reihe stellen wollen mit so manchen Veranstaltungen in den 30er Jahren – sie sollten überlegen, wie sie dem vorbeugen können, bis hinein in die Gestaltung des Tages, um wirklich klar zu machen, worum es ihnen geht.
  • Wer entwertete denn die Ehe, die in Artikel 5 der Bekenntnisschrift gestärkt werden soll? Grundsätzlich ist der Satz ja positiv formuliert und zu unterstützen. Wenn man aber weiß, dass Hartmut Steeb im Impressum genannt wird, dann ist doch zu vermuten wer hier ausgeschlossen werden soll. Alle die nicht der traditionellen Familie und Ehe angehören. Aber wer definiert das denn? Hartmut Steeb und die Evangelische Allianz? Die Hofacker Vereinigung? Und ist es nicht evangeliumsgemäßer Menschen nicht auszuschließen? Waren es nicht die Pharisäer und Schriftgelehrten, die sich dauernd von „den Anderen“ abgrenzten? War es nicht Jesus, der dieses Verhalten zurecht mehrfach anmahnte?
    Fragen auf die diese platte Bekenntnisschrift nirgends eine Antwort gibt – Ja, sie schmerzhaft vermissen lässt.
  • Die Auslegung der Bibel in Artikel 4 – auch so eine Sache die mehr Fragen als Antworten aufwirft. „Die Bibel ist immer aktueller als der jeweilige Zeitgeist“ – Aha. Das soll was genau heißen? Historisch-kritische Lesarten der Bibel sind verboten? Der Begriff des „natürlichen“ wird von den Initiatoren in Korinther 1 (Frau verhüllt und so) doch auch anders ausgelegt wie in Römer 1 (böse Homos) – was ist also das „Aktuelle“? Wer definiert das? Wieder die Evangelische Allianz? Die Lebendige Gemeinde? Um ein Zitat aus einem anderen Blog zu benutzen: In der obligatorischen Bekräftigung der Autorität der Bibel finden sich so – Entschuldigung, – Slogans wie “Die Bibel ist immer aktueller als der jeweilige Zeitgeist.“ Gilt das auch für die Bibeltexte, die Sklaverei unkritisch sehen? Und wenn nicht, was bedeutet so ein Satz dann eigentlich noch?“ Aus: http://www.elia-gemeinschaft.de/wordpress/2014/04/12/theologie/zum-aufstehen-zu-wenig

Nun hat die entsprechende Webseite dieses Bekenntnis einen großen Vorteil: Man kann mitmachen, in dem man einfach auf „Mit Facebook anmelden“ klickt. Ich bezweifle, dass sich ernsthaft alle 6000 Unterzeichner diese Fragen gestellt haben. Hier geht es drum Flagge zu zeigen. Einfach mitmachen. Gegen dieses „Pack was nicht so denkt“. Für jeden ist das sicher etwas und jemand anderes. Problem ist nur: das Ganze ist weder barmherzig, noch brückenbauend noch in irgendeiner Form hilfreich! Es ist ein abstraktes Konstrukt das Menschen unbarmherzig zurücklässt. Nicht wirklich das was Papst Franziskus gesagt hat (wobei das ist einem Hartmut Steeb vermutlich herzlich egal…).

Ich möchte diesen kritisch hinterfragenden Artikel mit einem Hinweis schließen. Einen Vortrag von Matthew Vines (Danke Caro für den Link!). Matthew Vines hat sich die Zeit genommen um zwei Jahre intensiv an 6 Bibelstellen zu forschen. An denen, die angeblich Homosexualität verbieten. Die, die in der „Homodebatte“ um Ehe und Familie gerne von Steeb und Konsorten ins Feld geführt werden. Und Matthew (selbst homosexuell) stellt am Anfang die Frage, mit welchem Recht manche Menschen homosexuell empfindenden Mitbürgern das Thema Ehe und Familie streitig machen. Der Vortrag ist lang – aber es gibt eine deutsche Übersetzung. Ich möchte hier nur die letzten paar Minuten seines Vortrags zu Gehör bringen. Und ich wünsche mir (es mag ein frommer Wunsch bleiben), dass all die Unterzeichner lieber noch einmal konkret nachdenken was sie da unterschrieben haben – und was der Text im Umkehrschluss eigentlich noch aussagt.

Matthew Vines (die Stelle die ich meine startet bei 1h und 57s)

Update:
Falls noch jemand in Frage stellt, dass das Bekenntnis eher trennt als vereint:

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5 Antworten auf „„Zeit zum Aufstehen“ – oder eben auch nicht!“

I agree to Matthew, let’s all live in the spirit of Jesus: love one another, no matter what or who my neighbor is!
Joh. 13,34: Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt.

Schade, dass Stellen wie Johannes und Co. plötzlich nicht mehr zählen, wenn es um Homosexualität geht. Ich danke Gott dafür, dass ich liberal erzogen wurde. Wo ist die Nächstenliebe bitte, wenn es schwierig wird?

Schade, bisher hatte ich eine sehr hohe Meinung von Ulrich Parzany. Aber vielleicht liest er in dem Aufruf nicht das selbe wie Du?
Falls doch, dann ist das sehr traurig :-(

Herzlichen Dank für aufschlussreichen und erwärmenden Beitrag. Er trägt dazu bei, mich nicht voller Ekel vom Christentum abzuwenden, dass mir von den Fundamentalisten häufig so madig gemacht wird. Es entsteht für außenstehende häufig der Eindruck, „Die Christen“ würden so denken, wie die Fundamentalisten, da so wenig andere Meinung kundgetan werden. Und ich bin Gott und meiner Familie dankbar, dass ich an erster Stelle Gottes Liebe und sein Gebot uns einander zu lieben gelehrt bekommen habe und keine Dogmen. Diese Ausgrenzung und anmaßende Verurteilung anderesdenkender Mitmenschen kann ich nur schwer nachvollziehen. LG Tom

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