Der Anruf reißt mich aus dem Schlaf. Ich bin schlaftrunken und meine noch zu träumen als mir meine Mutter erklärt, dass mein Ähne von uns gegangen ist. Die Wiederholung ihrer Worte treffen mich wie dumpfe Schläge. Mein Opa ist tot. Ein Mann dem man in einem Blogpost niemals gerecht werden würde. Ein Mensch der mich. meine Werte und Familie geprägt hat. Trotz der Verkürzung ein paar Gedanken zu ihm (am schwierigsten fällt mir hier wirklich die Vergangenheitsform)
#Friedensstifter & #Familienmensch
Ich wünsche jeder Familie so einen Menschen dem die Familie und ihr Zusammenhalt das Allerwichtigste auf der Welt ist. Der Streit und Abgrenzungen nicht ertragen kann und sich vehement dafür einsetzt, dass alle an einem Tisch zusammenkommen und sich beim Essen in die Augen schauen können. So hab ich ihn die letzten Jahre erlebt. Seine elf Enkel hat er über alles geliebt und unterstützt wo er nur konnte.
#Weltreisender
Er hat es geliebt die unterschiedlichsten Orte dieser Erde anzuschauen. Er hat es geliebt in andere Kulturen einzutauchen und zeigte begeistert Bilder aus dem Iran, Tunesien, Israel, China, Südamerika. Er hat die Welt gesehen und wäre am liebsten die letzten Jahre weitere tausende Kilometer geflogen. Sein Blick über den Tellerrand von Kuppingen, Baden-Württemberg, Deutschland hat sein Herz und sein Leben erweitert.
#Ähne nicht Opa
Wenn ich von meinem Opa gesprochen hab war das immer etwas erklärungsbedürftig. Denn den meisten sagt der Begriff „Ähne“ nichts. Selbst wir in der Verwandtschaft waren uns nie genau sicher wie man das jetzt wirklich korrekt schreibt. Aber er war eben nicht der Opa – diesen Begriff hat er gehasst. Er war der Ähne – ein urwschwäbischer Begriff für das Familienoberhaupt. Zu seiner Kindheit gab es Einige im Dorf. Am Schluss nur noch ihn. Ich kenne tatsächlich keine andere Familie die ihren Opa mit diesem „Ehrentitel“ angesprochen hat. Eine Tradition die mit ihm geht.
#Mzee
Als ich in 2003 in Kenia war lernte ich den Begriff „Mzee“ kennen. Die Kenianer nennen so die altehrwürdigen Männer. Ein Titel der vermutlich genauso viel bedeutet wie „Ähne“. Als mir die Erklärung dieses Begriffes gesagt wurde wusste ich sofort wer das für mich ist. Unser Ähne war unser Mzee – ein #Altehrwürdiger
#Ehe-Teamspieler & #Lieb-haber
Die schwäbische Ehe die meine Großeltern geführt haben war nicht immer einfach. Viele Hochs und Tiefs wie das eben ist im Leben. Und trotzdem haben die beiden zusammengehalten durch dick und dünn. Es gibt ja diese Geschichte von dem alten Ehepaar das meint, dass man früher die kaputten Dinge (und damit meinen sie Beziehungen) nicht einfach weggeworfen hat wenn sie mal nicht funktionierten, sondern dass man sie repariert hat. Das traf auf die beiden absolut zu. Die Liebe der beiden war immer spürbar. Ein Dreamteam das gemeinsam 58,5 Jahre perfekt harmonierte.
#Herzens-offen & #Zuhörer
Meine Oma wussten vor meinem Ähne, dass ich schwul bin. Und sie wollte lieber nicht, dass man es ihm sagt. Er hatte eben auch Bilder und Meinungen im Kopf. Als ich aber einfach meinen damaligen Freund mitbrachte gab es nur einen nickenden Blick von ihm und nichts anderes. Keine Veränderung. Kein Drama. Er war ein herzensoffener Mensch dem das Glück seines Enkels viel wichtiger war als alle Bilder und Meinungen in seinem Kopf und seiner Prägung. Für mich war das enorm wichtig! Danke, dass du es mir so einfach gemacht hast.
#…
Seit diesem Anruf, der mich so hart geweckt hat, bewegt mich das Lied O von Coldplay. Darin heißt es am Schluss:
So fly on
Ride through
Maybe one day I’ll fly next to youThey fly on
Ride through
Maybe one day I come fly with you
Fly on
Fly on
Fly on
Flieg weiter mein Freund – ohne dich ist es hier ein Stück kälter und einsamer. Aber eines Tages werden wir uns wiedersehen. Danke für alles Ähne!
Eine Antwort auf „Fly on“
Ich weiß, es klingt immer doof, wenn jemand dir sein Beileid ausspricht, darum will ich das nicht tun, denn ich leide ja selbst nicht darunter. Stattdessen möchte ich meine Solidarität mit einem „Ich weiß wie du dich fühlst“ bekunden, denn auch ich habe vor nicht ein mal einem Jahr, nur zwei Tage vor meinem Geburtstag den für mich wohl prägendsten Menschen überhaupt verloren. Trauer ist da nicht nur angebracht, sondern auch notwendig, um dich selbst zu finden, deine Gefühle zu zeigen, um am Ende wieder die Kraft zu haben, das Leben weiter zu führen, den geliebten Menschen aber stets in Erinnerung zu behalten. In diesem Sinne: Ich fühle mit dir.