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Warum austreten (für mich) keine Option ist

Was für eine anstrengende Woche doch die letzte Woche war. Die Debatte und Abstimmung der württembergischen Landessynode hat im Endeffekt mehr Gräben gezogen, als dass sie geeint hat. Auch wenn genau das dem württembergischen Landesbischof so wichtig war: niemanden vor den Kopf zu stoßen und trotzdem einen Kompromiss für das „Kirchliche Gesetz zur Einführung einer Ordnung zur öffentlichen Segnung gleichgeschlechtlicher Paare“ zu finden. Er konnte diesen Kampf eigentlich nur verlieren.

Geht man mal auf eine Metaebene und schaut sich die Sache abseits theologischer Streitigkeiten, Machtkämpfe und subjektiven Bildern an, dann war es eine demokratische Entscheidung die, so wie sie jetzt ist, gilt. Hier möchte ich kurz ausholen, denn als ich im Büro erklärte, was eigentlich gerade los ist, waren vielen meiner Kollegen irritiert. „Was ist eine Landessynode?“ „Die kann ich wählen?“ usw.

Eine kurze Einführung in (württembergische) Kirchenpolitik

Die Landessynode ist ein Gremium aus „Abgeordneten“, sogenannten Synodalen, die sich „Parteien“, sogenannten Gesprächskreisen, zuordnen. Dieses Gremium trifft sich mehrmals im Jahr, um sich über die inhaltliche Ausrichtung der Landeskirche Gedanken zu machen. Es werden Themen bearbeitet, kirchliche Gesetze (wie das zur öffentlichen Segnung) beschlossen oder geändert, ein Haushalt beraten und diskutiert. Also Dinge, die ein „Parlament“ im weitesten Sinne tut. Gewählt wird alle sechs Jahre zusammen mit den Wahlen des lokalen Kirchengemeinderats. Wahlberechtigt sind „alle Gemeindemitglieder…, die am Wahltag das 14. Lebensjahr vollendet haben, geschäftsfähig sind und ihre Hauptwohnung im Bereich der Evangelischen Landeskirche in Württemberg haben oder anderweitig zu dieser gehören.“# Ob dann wählen gegangen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Bei der letzten Kirchenwahl 2013 waren es schlappe 24,3% Wahlbeteiligung. Warum? Nun ja, schon zu politischen Wahlen begeistert man nicht so viele Menschen. Zu kirchlichen Wahlen oft nur die, die mit dem Thema auch wirklich etwas anfangen können. 

In Württemberg sind wir eine sehr fromme und konservative geprägt Landeskirche. Der Gesprächskreis, der vorrangig dieses Klientel bedient, ist die „Lebendige Gemeinde“ – die stärkste Kraft in der Synode ist. Die, von denen ich mir im letzten Artikel ein paar Antworten erbeten habe. Dieser Gesprächskreis schafft es bei seinem sehr verbundenen Klientel und durch seine entsprechenden Lobbygruppen (ja, das gibt es auch in der Kirchenpolitik) natürlich die meisten Wähler zu motivieren. Mit dem Ergebnis, dass wir jetzt beim Thema Segnung gleichgeschlechtlicher Paare an dem Punkt stehen, an dem wir stehen.

Die 15. Württembergische Evangelische Landessynode
Infogram

„Ich trete jetzt aus!“

Das war des öfteren unter so mancher Facebookdebatte letzte Woche zu lesen. Und ich kann diejenigen verstehen, die von dem Ergebnis selbst betroffen sind. Die frustriert und traurig sind. Die sich ausgegrenzt fühlen. Und ich kann die verstehen, die den Laden Landeskirche für altmodisch halten oder das Gefühl haben, irgendwo in der Zeit stehen geblieben zu sein. Und ich verstehe es, weil man Kirchensteuern vielleicht auch sparen möchte. Euch möchte ich aber sagen: Tut es nicht! Tretet nicht aus. Egal, wie frustriert ihr mit dieser Kirche seit. Denn wenn ihr austretet, dann gebt ihr euer demokratisches Recht auf Mitgestaltung in dieser Kirche auf. Wenn ich mir die Wahlbeteiligung von 2013 anschaue (24,3%), dann hat es da aber noch gewaltig Luft nach oben. Ihr, die ihr Veränderung in dieser Kirche wollt. Ihr, die ihr noch nicht ganz aufgegeben habt: bleibt in dieser Kirche und merkt euch diese Debatte und ihren Ausgang. Und gestaltet eure Kirche durch eure Stimmabgabe in 2019 mit. Konservative Gemüter bleiben in dieser Kirche und werden weiter die unterstützen, die ihnen versprechen, dass alles so bleibt wie es ist. Wenn ihr austretet, macht ihr deren Stimmen gewichtiger. Kennt man von ganz normalen Wahlen. Je niedriger die Wahlbeteiligung, desto mehr Chancen haben radikalere Ansichten und Meinungen.

Und: die Entscheidung der Synode letzte Woche machte eines deutlich: über die Hälfte hat wenigstens für den Kompromiss gestimmt. Es hat einfach nicht zur nötigen 2/3-Mehrheit gereicht. Diese Kirche ist gar nicht so unbeweglich. Aber dieses Mal hat es noch nicht gereicht. Die konservativen Stimmen im Vorfeld mit Zuschriften und Austrittsdrohungen waren laut genug. Wir, die wir Veränderung wollen, müssen lauter werden. Den längeren Atem haben. Und dann erreichen wir das, was auch ein Chor direkt nach der Entscheidung von der Besuchertribüne angestimmt hat: „We shall overcome!“

tl;dr:# Wenn ihr geht, überlasst ihr diese Landessynode einer konservativen Elite, die bei diesem Thema lieber unter sich bleibt, als Inklusion zu leben.

Ein Wort noch:

Liebe Brüder und Schwestern der eher konservativen Seite: Oft hab ich letzte Woche gelesen, wie „fies das doch ist, dass man jetzt zum Sündenbock gemacht wird“ oder wie angegriffen man sich jetzt fühle. Ich las Dinge wie: „Man darf in dieser Kirche nicht mal mehr seine Meinung sagen“ oder „die Lobbyarbeit der Homos war unglaublich im Vorfeld.“ Diese Aussagen empfinde ich fast am schlimmsten in dieser Debatte. Wenn man sich das Ganze auf einer rein kirchenpolitischen Ebene anschaut, dann durfte/musste

  • jeder seine Meinung sagen – er musste es halt auch aushalten, dass es andere Meinungen gibt (und das fällt schwer)
  • jeder mit diesem Ergebnis leben. Wenn ihr gegen beide Anträge gestimmt habt und das Menschen frustriert, traurig macht, zum verzweifeln bringt oder wütend macht, dann müsst ihr das aushalten. Das ist in einer demokratischen Struktur so.
  • Jede der beiden Seiten hat genug Lobbyarbeit im Vorfeld betrieben. Auch die konservative Seite. Ein Beispiel dafür war ein nettes „Pamphlet“ vom Albrecht-Bengel-Haus

Opferrollen stehen euch nicht gut zu Gesicht. Ihr habt das Thema inhaltlich gewonnen. Eurer Meinung nach zurecht. Aber dafür gibt es Kirchenwahlen 2019. Und dieser Blogbeitrag hat bewusst dieses Bild ;) – Nächstenliebe und (Kirchen-)politisches Streiten muss möglich sein.

Oh, deep in my heart,

I do believe

We shall overcome, some day.

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