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Gayrights Kirche

Sorry I’m not sorry

8:30 Uhr – Stuttgart Hospitalhof. Die ersten Klänge des Flügels erklingen und alle Anwesenden nehmen ihre Plätze ein. Die Synode der Landeskirche tagt mal wieder. Das ist das Gremium, welches  sich in der letzen zwei Jahren sehr schwer getan hat, als es darum ging, dass Menschen gleichen Geschlechts in der Kirche heiraten dürfen. Der Umgang mit dem Thema hat mich unter anderem dazu gebracht für die nächste Legislaturperiode zu kandidieren

Nun stand an diesem 5. Juli 2019 etwas besonderes auf dem Programm. Der Landesbischof hatte sich zum Ziel gesetzt, eine Entschuldigung auszusprechen. Der „Ausschuss für Kirche, Gesellschaft und Öffentlichkeit“ befand es wäre an der Zeit, dass der württembergische Bischof, wie auch einige seiner Amtskollegen vor Ihm, nun eine „Bitte um Entschuldigung für begangenes Unrecht an Homosexuellen“ ausspricht. Eigentlich eine gute Sache. Aber ich war von Anfang an skeptisch, weshalb ich vor Ort war um die Sache mit eigenen Ohren zu hören. Ich erkläre kurz was Bischof July gesagt hat und was meine Gedanken dazu sind.

July baute seine Andacht mit Vergebungsbitte rund um die Bibelstelle Römer 15,7 („Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Ehre.“) auf. Er begann mit drei Geschichten von Menschen, die in der Vergangenheit Ausgrenzung erlebt haben. Mit Vergangenheit meinte July vor allem die Nazizeit, sowie Menschen die auch nach 1945 in den 60- & 70er Jahren nach §175 verurteilt und viel zu spät (wenn überhaupt) rehabilitiert wurden.

Und hier musste ich das erste Mal eingrätschen. In den letzten zehn Jahren – vor allem in den letzten 2,5 Jahren in allen Debatten um die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare – kam es zu vielen Äußerungen innerhalb der Synode, dieser Landeskirche und auch von Vertreten des Oberkirchenrats (ein diskriminierendes Segnungsgesetz zum Beispiel, bei dem die nicht betroffenen Männer der absoluten Meinung sind, es wäre nicht diskriminierend) die von Vorteilen und Unwissenheit getränkt waren, die ausgrenzend wirkten und viele in der queeren Community verletzen. Dieser Bereich in seiner Andacht/Vergebungsbitte kam heute viel zu kurz. July fand es wohl einfacher, sich auf die längere Vergangenheit zu berufen, als klar und deutlich anzusprechen was in den letzten Jahren schief gelaufen ist. Auch der Blick in die restliche Welt (in der es ja viel schlimmer ist als in Deutschland) ist zwar legitim, aber für Menschen, die in der jüngeren Vergangenheit von dieser Kirche und ihren Vertreten gekränkt wurden, nicht wirklich hilfreich.
Ja ich weiß, eine pauschale Entschuldigung muss auch das dritte Reiche beinhalten – hier hat die Kirche auch viel falsch gemacht – aber die vergangenen zwei Jahrzehnte war die Kirche jetzt kein leuchtendes Beispiel beim Thema Inklusion queerer Menschen.

Aus der Pressemitteilung:

„July sagte weiter: „Wir bedauern es zutiefst und es tut uns leid, wie Lieblosigkeit, Richt- und Ausschlussgeist auch bei uns, in unserer Kirche und in Gemeinden, Einzug gehalten haben – dass es auch bei uns noch gruppenbezogene Vorurteile gibt, die die Annahme und Liebe zu einzelnen Menschen verstellen. Als Kirche müssen wir deutlich machen, dass es vor Gott und für uns nur eine Gruppe von Menschen gibt: den Leib Christi, zu dem alle, jeder und jede einzelne, bedingungslos dazu gehört, weil Christus uns alle annimmt. Menschen sollen spüren, dass es keine Schwellen gibt in unseren Gemeinden.
Nur wo Menschen sich wahrhaft bedingungslos geliebt fühlen, spüren sie etwas von der Liebe Gottes. Darum: Nehmt einander an – zur Ehre Gottes und wie es Jesus Christus entspricht.“ 

Daraus leitete der Landesbischof ab: „Wir sprechen aus: Wir haben als Kirche im Schutz und Eintreten für gleichgeschlechtlich liebende Menschen in der Vergangenheit oftmals Diskriminierung und Verfolgung mit befördert. Wir wollen bei aller theologischen Unterschiedlichkeit den gleichgeschlechtlich orientierten Schwestern und Brüdern im alltäglichen Umgang in Gemeinde, Kirche und Gesellschaft kräftiger und ohne Bedingungen bezeugen: Du bist Gottes geliebtes Kind. Wir sprechen aus: Für die vielen schmerzhaften Erfahrungen, die gleichgeschlechtlich empfindenden Mitchristinnen und -christen und Mitmenschen in und durch unsere Kirche machen mussten, bitten wir um Entschuldigung vor Gott und den Menschen.“

Meine Kritik:

Ich halte July zu Gute, dass ihm bewusst ist, dass Ausgrenzung nichts ist, was diese Kirche überwunden hat sondern etwas ist, dass bis in die heutige Zeit reicht. Zwei Dinge gibt es aber die mich – das obere mal ausgeklammert – massiv an dieser Vergebungsbitte stören:

1.) July spricht in seinem Statement die ganze Zeit nur von Unrecht, das an gleichgeschlechtlichen Menschen begangen wurde. Ist das bewusst so kurzsichtig formuliert oder ist sich die Kirchenleitung der Vielfalt der LGBTIQ+ Menschen wirklich nicht bewusst? Gemeinden und Vertreter dieser Kirche sind ja nicht nur an Homosexuellen durch Ausgrenzung und Lieblosigkeit schuldig geworden (oder werden es heute noch). Sondern eben auch gegenüber Bisexuellen, Transgender oder intersexuellen Menschen. Hier gibt es noch so viel mehr zu tun, so viel mehr zu wissen und so viel mehr an Akzeptanz zu schaffen. Aber wehe man spricht über das Thema Transsexualität. Dann geht so manchem Vertreter der evangelikalen Szene gleich der Hut hoch und man hört irgendein dummes Gerede über „Gender Mainstreaming“ und „Homo Agendas“. Diese heutige Bitte um Entschuldigung greift zu kurz. Es gibt genug andere queere Christen die  als „Misfits“ in unseren Gemeinden ausgegrenzt wurden und werden. Hier hätte genauso klar gesagt werden müssen: „Du bist Gottes geliebtes Kind.“ Und hier hätte genauso ermahnt werden müssen: „Menschen sollen spüren, dass es keine Schwellen gibt in unseren Gemeinden.“ Auch in noch so frommen Käffern im Schwarzwald die vor #wirliebengemeinde Sprüchen und neufrommem Pharisäertum gerade so triefen.

2.) Der Zeitpunkt dieser Entschuldigung. Anfang des Jahres hat die Landessynode dieses Gesetz verabschiedet, das es allen irgendwie Recht machen will. Und das irgendwie dazu führen soll, dass auch gleichgeschlechtliche Menschen heiraten dürfen. Also irgendwie. Wenn 5 Regeln erfüllt sind. Regeln, die der Einzelne vor Ort der heiraten möchte überhaupt nicht beeinflussen kann. Man kann doch nicht ernsthaft meinen, die Regelung ab 2020 wäre nicht diskriminierend. Ich zum Beispiel würde liebend gerne in „meiner Kirche“ heiraten. Die Kirche, in der ich aufgewachsen bin. In der ich konfirmiert wurde. Die mein zuhause ist. Aber das geht nicht, denn dort sitzen zwei Pfarrer die schon aus Gewissensgründen nein sagen. Ein K.O.-Kritierum in dieser Debatte. Solange die beiden also auf der Stelle sitzen kann ich mir irgendwo anders ein Gotteshaus suche. Und dort kann ich auch nur heiraten, wenn diese Gemeinde vor Ort das will und durch einige Reifen gesprungen ist. Ich will nicht in irgendeiner Gemeinde heiraten. Ich möchte in meiner Gemeinde heiraten dürfen. Ich will gar nicht von meinen Pfarrern getraut werden – aber eben in dem Gotteshaus, welches mein Opa maßgeblich renoviert hat. Das, in dem ich schon so viel Gutes erfahren hab.
Ganz konkret im Jahr 2019 kann ich in dieser Kirche nicht heiraten. Ab 2020 nur dann, wenn ganz viele, von mir nicht beeinflussbare Faktoren und Entscheidungen in Kirchengemeinden gefallen sind. Das ist ein Spießrutenlauf für gleichgeschlechtliche Paare. Und da es das für heterosexuelle Paare nicht ist, handelt es sich hier um eine Diskrimierung. Um eine Ausgrenzung. Um Lieblosigkeit.
Wie also kann ich diese Entschuldigung denn eigentlich ernst nehmen? Man kann sich doch nicht für etwas entschuldigen, das man immer noch aktiv tut. Eine Entschuldigung ist ja nur dann etwas wert, wenn das Vorgefallene Geschichte ist und hoffentlich bleibt. Alles andere würde so mancher evangelikale Menschen als Leben auf „billiger Gnade“ abtun.  Oder aber Ihre Entschuldigung ist genau das was der Titel dieses Blogbeitrags vermuten lässt. Ein „Sorry for not being sorry„.

Also lieber Bischof July: Danke für Ihren Versuch. Aber es gibt leider noch einige Lücken in Ihrer Bitte um Vergebung. Und solange aktive Missstände offen sind, ist diese Bitte meiner Meinung nach nichts wert. Gehen Sie die Probleme an. Und dann versuchen Sie es mit einer erneuten Entschuldigung. Diesmal inklusiver. Diesmal vielleicht auch mit und unter Menschen die das betrifft. Nicht Pressetauglich auf einer Synode. Sondern auf einem CSD-Gottesdienst mitten unter uns.

Das Video der Bitte wurde auf Bitten der Pressestelle der Landeskirche entfernt.

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