Im Januar 2014 veröffentlichte ich auf diesem Blog einen Artikel mit der Überschrift: „Ich bin schwul…“. Eine Tatsache, die sicher nicht so öffentlich angekündigt hätte werden müssen. Für enge Freunde und Familie war es eh kein Geheimnis gewesen. Aber mir zerriss es damals das Herz. Die Debatte über den Bildungsplan erreichte ihren Zenit und auf Stuttgarts Straßen und im Internet wurde über Homosexuelle in einer Art und Weise gesprochen, die mir klar machte: hier wird über ein Thema geredet, von dem die wenigsten wirklich Ahnung haben. Was dort von KollegInnen in der Jugendarbeit gesagt wurde, machte mich traurig und wütend. Aus diesem Grund war es mir wichtig, der Debatte eine Innenansichten zu verleihen: wie geht es einem Jugendlichen, der in einer Kirche aufwächst und homosexuell ist. Daraufhin folgte innerhalb des Evangelischen Jugendwerks eine gute und wichtige Auseinandersetzungen mit diesem Thema und der Eintrag wurde über 35.000 mal gelesen.
Fast drei Jahre später hat nun meine Landeskirche, als einer der letzten, über das Thema „Segnung von Homosexuellen Paaren“ zu sprechen. Im Kern geht es also um die Frage: dürfen Lesben und Schwule auch vor den Altar treten und ihre eheliche Verbindung unter Gottes Segen stellen?
Um dieses Thema wurde viel und lange gerungen und auch öffentlich gestritten. Als z.B Prälatin Arnold im Frühjahr diesen Jahres als Schirmherrin für den CSD eintrat um Lesben und Schwulen deutlich zu machen, dass ihre Kirche offener ist, als sie ihr das vielleicht zutrauen würden.
Die Probleme:
2014 wie auch 2017 sehe ich drei Probleme, wenn es zu diesem Thema kommt:
1.) Das Schriftverständnis: Ein Thema, bei dem wir seitenweise theologisch streiten könnten. Das werde ich in diesem Artikel aber nicht tun. Wichtig ist: Es ist nur ein Streitthema von vielen in unserem gemeinsamen Weg als Christen. Und noch wichtiger: Wahrheit ist immer subjektiv. Meine genauso wie deine. Eine Möglichkeit darüber etwas zu lernen gibt es hier: Homosexualitaet und die Schoepfungsordnung.
2.) Der Ton bei diesem Thema ist zu schrill: Vor allem von der konservativen Seite sind immer sehr schnell und sehr deutliche Worte zum Thema Homosexualität zu lesen. Schaut man in Facebook oder andere Portale, ist dieses Thema eines der großen Streitthemen. Ich habe kein Problem mit theologischen Streitthemen. Man könnte aber manchmal das Gefühl bekommen, es gehe um den Status confessionis#, wenn über dieses Thema gesprochen wird. Auch wenn das gerne der eine oder andere behauptet. Und dies führt zum nächsten Problem:
3.) Es geht hier um Menschen! Ähnlich wie in der Flüchtlingsfrage wird auch das Thema Homosexualität sehr stark an inneren Bildern festgemacht und dann oft gnadenlos argumentiert. Es ist sehr einfach über Themen zu reden, solange man keinen persönlichen Bezug dazu hat. Jeder meiner Freunde, ob nun eher konservativ oder liberal, hat mir irgendwann einmal gesagt: Durch deine Geschichte hat sich mein Blick auf dieses Thema komplett verändert. Wenn man weiß und privilegiert ist und der Mehrheit angehört, ist bei vielen Themen schnell eine Meinung gebildet. Das diese Menschen nicht gerecht wird und auch nicht das ist, was Jesus getan hat, wird an vielen Stellen in den Evangelien deutlich.
Ich habe in meiner theologischen Ausbildung eine wichtige Sache gelernt: Streite nicht über ein Thema, wenn du nicht mindestens mit zwei Menschen gesprochen hast, die Experten auf diesem Gebiet sind. Alles was du sonst sagst, steht in der Gefahr andere Menschen zu verletzen.
Machen wir uns diese drei Dinge bewusst, stellt sich mir letztendlich die Frage: Was für eine Kirche wollen wir sein? Eine, der ihr Dogma wichtig ist, oder eine, die Barmherzigkeit zeigt und leben will?
Als ich mich im Frühjahr 2014 geoutet habe, gab es viele Jugendliche und junge Erwachsene, die als Ehrenamtliche oder Besucher in unsere Gemeinden, CVJMs oder Jugendwerke kommen, die sich bei mir gemeldet haben. Viele von denen haben sich nicht geoutet, weil sie unter anderem Angst davor haben, dass sie dann nicht mehr Teil ihrer kirchlichen Gemeinschaft sein können, die ihnen so wichtig ist. Ja die Ihnen Heimat bietet. Und was gibt es schlimmeres, als seiner Heimat entzogen zu werden? Ich selbst hab in christlichen Kreisen schon zu oft erlebt, dass Dogma wichtiger war als Barmherzigkeit.
In einem Gespräch mit einem Synodalen zu der Frage, ob denn nun homosexuell empfindende Menschen, die nich schon lange von der Kirche abgeschreckt worden sind, auch getraut oder gesegnet werden dürfen, fiel folgender Satz: „Ich tue mich bei diesem Thema schwer. Ich hab viele konservative Christen zu vertreten. Und sind wir ehrlich: Lieber verliere ich eine Minderheit wie euch, als meine treuen, konservativen Mitarbeiter.“ Klare Ansage. Ich stelle da nur zwei Punkte in Frage: Auch ich kann ein treuer und konservativer Mitarbeiter sein, aber trotzdem in einer homosexuellen Beziehung leben. Aber noch wichtiger: Ist der Kern dieser Aussage nicht massiv das Gegenteil von dem, was Jesus getan hat, als er seine Herde stehen lies und sich auf die Suche nach dem einen verlorenen Schaf gemacht hab? Selbst Papst Franziskus sagte einmal: „Die Aufgabe der Kirche sei nicht, zu verurteilen, sondern Barmherzigkeit zu üben.“
Für Veränderungen braucht es Mut…
Deshalb wünsche ich mir von meiner Kirche ein mutiges Ja. Ein Ja zur Segnung von Lesben und Schwulen. Ich wünsche mir ein Ja, dass nicht in allen Ausprägungen schon nach faulem Kompromiss riecht. Der Mut hier ein Ja zu finden, wird anderen Mut machen. Homosexuellen Jugendlichen zum Beispiel, die den furchtbaren inneren Kampf um ihr Outing führen. Weil der Umgang mit diesem Thema, definiert, wie zukünftige Generationen mit diesem Thema umgehen werden. Es werden Menschen befreit von dem Konstrukt der innerlichen Verleumdung. Ich weiß noch sehr gut wie es war über 10 Jahre nicht der sein zu dürfen, der ich war. Eure Entscheidung wird prägen, ob Menschen sich lieben können und wird ihnen inneren Freiheit schenken. Eine Freiheit, die man nur erahnen kann, wenn man das Ganze nicht selbst durchlebt hat. Und für alle, die jetzt Angst bekommen, weil sie nur Bilder von halbnackten CSD-Besuchern im Kopf haben, wenn sie von Lesben und Schwulen hören: das ist nur ein Klischeebild. Ich kenne mehr Homosexuelle, die diesem Bild nicht entsprechen.
… und Verantwortung
Liebe Synodale, macht euch klar: es geht hier um Menschen. Nicht um Dogmen. Nicht um Schriftverständnis und auch nicht darum, was eure Basis sagen wird. Es geht darum einer Minderheit zu zeigen, dass sie euch noch wichtig ist. Das ihr sie im Blick habt und ihnen Räume eröffnet. Und diese Minderheit hat in und mit Kirche schon viel negatives erlebt. Viele haben mit Kirche nichts mehr zu tun, weil der Umgang mit dem Thema bisher so furchtbar schmerzhaft war. Und in einer Zeit, in der Menschenrechte für diese Gruppe weltweit immer noch nicht garantiert sind, habt ihr am Donnerstag eine geschichtliche und politische Verantwortung. Und eben nicht nur eine theologische.
Und, es muss noch gesagt werden: Wer sind wir, dass wir anderen den Segen Gottes verwehren?
*Überschrift-Zitat: Marcus Tullius Cicero (106 – 43 v. Chr.), römischer Redner und Staatsmann.
**Eine gekürzte Version dieses Artikels wird im Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg erscheinen.